Rationsgestaltung – wie viel Kraftfutter braucht mein Pferd?

Schon häufiger kamen von euch Fragen zur Rationsgestaltung, so auch wieder einige in dieser Woche. Hauptsächlich geht es hier um die Kraftfuttergabe: wie viel Kraftfutter ist okay? Sollte ich besser Hafer füttern oder lieber Müsli? Sind 1kg Hafer pro Tag zu viel? In welchen Mengen kann ich Müsli zufüttern? Lange habe ich mich um diese Fragen herum geschlängelt, denn den meisten von euch fällt sicher auf: das KANN ich ohne eine ausführliche Anamnese des entsprechenden Pferdes erhoben zu haben, nicht beantworten. Das 26-jährige Shetlandpony Anton, das einmal pro Woche 20 Min. beim Kinderreiten eingesetzt wir hat hier einen völlig anderen Bedarf als der 14-jährige Warmblüter Jack, der regelmäßig in A-Springen und -Dressur vorgestellt wird. Pauschale Antworten kann ich hier also nicht geben. Was ich aber kann, ist euch anhand eines Beispiels einen kleinen Einblick in die Rationsgestaltung zu geben.

Wer sich für das Thema interessiert, der kann sich übrigens gern für mein Webinar zur Rationsgestaltung bei Freizeitpferden am 12.10.21 anmelden. Der Kurs eignet sich auch für Besitzer, die ihre Pferde auf dem Turnier vorstellen (etwa bis Klasse L).

Nehmen wir als Beispiel unseren 14-jährigen Warmblüter Jack, Westfale, 1,72m, 600kg, Body Condition Score 5. Jack hat keine gesundheitlichen Einschränkungen, gesunde Hufe, glänzendes Fell, unauffälligen Kot- und Urinabsatz. Der Wallach wird 2 Mal pro Jahr entwurmt, 4 Mal pro Jahr wird der Kot untersucht. Eine Verwurmung gab es bisher nie. Die Zähne werden 1 Mal pro Jahr durch den Pferdezahnarzt kontrolliert. Hier gab es bisher keine Auffälligkeiten. Der Wallach geht 4 Std. täglich auf die Weide und 4 Std. auf den Paddock. Wie oben beschrieben, wird Jack regelmäßig in Dressur und Springen Klasse A vorgestellt und entsprechend trainiert. Die Arbeitsintensität kann als leicht eingestuft werden. Um es nicht zu komplex zu machen, konzentrieren wir uns in diesem Beispiel auf Jacks Energie- und Eiweißbedarf. Dieser liegt bei etwa 79ME und 473g dünndarmverdaulichem Rohprotein (pcvXP).

Qualitativ gutes Raufutter sollte die Grundlage einer jeden Ration bilden.

Zunächst schauen wir uns jetzt an, welches Raufutter Jack in welchen Mengen pro Tag erhält. Denn ich versuche wann immer möglich, den Bedarf eines Pferdes über das Raufutter (Grundfutter) und eine entsprechende Mineralisierung zu decken. Das Thema Mineralisierung würde hier den Rahmen sprengen, daher konzentrieren wir uns wie o.b. zunächst auf die Energie- und Eiweißversorgung. Jack erhält morgens und abends jeweils 4kg Heu (insgesamt 8kg pro Tag) aus einem Heunetz und hat mittags 4 Stunden freien Zugang zu Heu aus einer Heuraufe. Die Heuanalyse ergab, dass wir hier mit einem Energiegehalt von 6,2ME pro kg und einem pcvXP-Gehalt von 42g pro kg rechnen können. Wenn wir keine Heuanalyse zur Verfügung haben, bietet es sich übrigens an, mit Durchschnittswerten der jeweiligen Region zu rechnen. Wie viel Heu Jack mittags auf dem Paddock aufnimmt, können wir leider nicht konkret bestimmen, wir rechnen aber mal mit zusätzlichen 3kg pro Tag. Mit 11kg Heu decken wir bereits 86% (68,2ME) seines Energiebedarfs und 97% (462g pcvXP) seines Eiweißbedarfs.

Zusätzlich ist Jacks Box mit Weizenstroh eingestreut und wird täglich gemistet sowie frisch übergestreut. Wir können also davon ausgehen, dass Jack zusätzlich etwa 1-2kg Stroh pro Tag aufnimmt. Hier haben wir ein Plus von etwa 6,3ME und 24g pcvXP. Wir liegen jetzt also bei 74,5ME (Bedarf bei 79ME) und 486g pcvXP (Bedarf bei 473 pcvXP). Wer jetzt gut aufgepasst hat, dem wird aufgefallen sein, dass Jacks jetzt bereits mit Eiweiß „überversorgt“ ist, sein Energiebedarf aber noch nicht gedeckt ist. Wir streben in der Rationsgestaltung immer ein Eiweiß-Energie-Verhältnis von 6:1 an. Das Heu hat aber bereits ein Eiweiß-Energie-Verhältnis von 6,8:1. Es gilt nun also dieses Verhältnis mit einem energiereichen Futtermittel mit niedrigem Eiweißgehalt auszugleichen. Ich nutze dazu gern Öl und zwar am liebsten kaltgepresstes Leinöl. Und JA: Pferde sind sehr wohl in der Lage, Öl zu verdauen 😉 Allerdings sollte man nicht zu große Mengen füttern, da das Pferd ja keine Gallenblase hat, wohl aber eine gallensaftproduzierende Leber. Diese wiederum produziert aber immer nur eine entsprechende Menge Gallenflüssigkeit, die für die Ölverdauung notwendig ist. Größere Ölmengen werden also ungenutzt ausgeschieden und könne zu Durchfall führen. Zurück zum Thema: Ich empfehle für Jack eine tägliche Ölgabe von 60ml. 1 Liter Öl enthält etwa 39ME, aber keinerlei Eiweiß. Damit sind wir bei insgesamt 76,84ME und 486g pcvXP.

Hafer enthält unter anderem Fett, Schleimstoffe, Rohfaser und hochverdauliche Stärke.

Und erst jetzt denken wir an Kraftfutter. Wie wir sehen, ist Jacks Energiebedarf bereits über das Raufutter fast gedeckt und der Eiweißbedarf bereits leicht überstiegen. Als Kraftfutter entscheide ich mich hier für ganzen Hafer. Warum? Hafer enthält unter anderem Fett, Schleimstoffe, Rohfaser und hochverdauliche Stärke. Dadurch ist er gut verträglich und wird von den meisten Pferden gern gefressen. Hafer wird gequetscht oder ungequetscht verfüttert. Gequetschter Hafer eignet sich insbesondere für Fohlen, ältere Pferde oder Tiere mit Zahnproblemen. Gesunde, ausgewachsene Pferde können sowohl mit gequetschtem als auch mit ganzem Hafer gefüttert werden. Letzterer fördert die Kauaktivität und Speichelbildung, was sich wiederum positiv auf die Verdauungsvorgänge auswirkt. Zudem wird das Kraftfutter in der Regel langsamer gefressen, da mehr gekaut werden muss (zusätzlich positiv für die Verdauung). Rechnerisch kommen wir mit einer Menge von 300g pro Tag auf 79ME und 511g pcvXP in der Gesamtration. Das heißt, wir haben Jacks Energiebedarf gedeckt und einen Eiweißüberschuss von 8% in der Ration. Dieser sollte unter 25% liegen, da überschüssiges Eiweiß immer über Leber und Niere abgebaut werden muss und entsprechende Organe belastet.

Jacks Ration besteht also aus: 11kg Heu, 1-2kg Stroh, 60ml Leinöl und 300g Hafer pro Tag (+ ein geeignetes Mineralfutter!). Ihr seht also: so ganz viel Kraftfutter braucht unser Beispielpferd Jack nicht. Zusätzlich geht er ja 4 Stunden pro Tag auf die Weide und ihr fragt euch jetzt vielleicht, wie sich das auf die Ration auswirkt. Bis zu 4 Stunden Weidegang rechnen wir nicht in die Ration ein. Warum? Gras enthält zunächst einmal eins: VIEL Wasser. Bei 1kg Gras rechnen wir mit etwa 1,5-1,7ME und 15-25g pcvXP. Wieviel Gras Jack in den 4 Stunden Weidegang aufnehmen kann, ist u.a. abhängig von der Bewirtschaftung der Weide, der Jahreszeit, dem Wetter, der Herdenzusammensetzung und seiner individuellen Fressgeschwindigkeit – und bei der geringen Stundenzahl vernachlässigbar. Wenn der Wallach übergewichtig wäre, würde das allerdings noch einmal anders aussehen! Daher auch hier wieder: Rationsberechnung ist sehr individuell und kann nie verallgemeinert werden!

WICHTIG: In der oben gerechneten Ration geht es konkret um die Deckung von Jacks Energie- und Eiweißbedarf! Ich berücksichtige hier noch nicht die weitere Nährstoffversorgung (die unbedingt mit einem entsprechenden Mineralfutter gedeckt werden sollte) und bin auch nicht auf seinen Trockensubstanz- und Rohfaserbedarf eingegangen (auch wenn dieser in der obigen Rechnung gedeckt ist).

Noch ein Wort zu Theorie und Praxis: Diese Rationsgestaltung bezieht sich auf Jacks rechnerisch ermittelten Bedarf, der sich aus verschiedenen Faktoren wie Alter, Rasse, Nutzung/ Leistung, BCS, Haltung, (Vor-)Erkrankungen etc. ergibt. Theorie kann aber niemals 1:1 die Praxis abbilden. Bitte vergesst niemals, dass wir es hier mit Lebewesen zu tun haben! Wenn Jack sagt, dass er mehr Hafer braucht, dann braucht er mehr Hafer. Unabhängig davon, was ich hier gerechnet habe. Und wenn Jack sagt, dass ihm der Hafer nicht schmeckt, dann schmeckt er ihm nicht. Dann kippen wir auch kein Malzbier oder Apfelsaft drüber, sondern finden eine gute Alternative. Dennoch halte ich die Rationsberechnung für eine gute Grundlage, mit der es sich in der Praxis arbeiten lässt.

Wer von euch noch einmal etwas tiefer in das Thema einsteigen möchte, ist herzlich eingeladen, sich für mein Webinar zur Fütterung von Freizeitpferden am 12.10.2021 anzumelden. Auch für Turnierreiter geeignet 😉

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