Offenstall- vs. Boxenhaltung und die Büchse der Pandora

Achtung, Achtung! Ich öffne jetzt voraussichtlich (wie bei so vielen Pferde- und insbesondere Fütterungsthemen) die Büchse der Pandora. Und zwar mit ein paar meiner Gedanken zum Thema: Offenstallhaltung vs. Boxenhaltung. Warum ich das mache? Ich erlebe es zunehmend, dass es Kunden unangenehm ist, mir zu sagen, dass das Pferd in Boxenhaltung steht. Es folgen direkt Entschuldigungen und Erklärungen für diesen Umstand. Als wenn sie mir gerade gebeichtet hätten, dass das Pferd jeden Tag ne Tracht Prügel kassiert, weil es sein magenunterstützendes, hautberuhigendes, krebsheilendes Muskelaufbaumüsli nicht gefressen hat (Achtung Sarkasmus! Aber das ist ein anderes Thema). ⠀

Meine Meinung dazu ist: es gibt nicht DIE beste Haltungsform. Punkt. Zwei Faktoren spielen für mich bei der Wahl der Haltungsform eine sehr entscheidende Rolle. ⠀

1.Sprechen wir von Offenstall, Aktivstall, Bewegungsstall, Paddocktrail oder Matschloch mit Rettungsinseln? Was ich damit meine ist: Offenstall ist zu einem Oberbegriff für diverse Haltungsformen geworden, die vermitteln, dass das Pferd sich 24 Stunden frei bewegen KANN. Und da wären wir auch schon an dem Knackpunkt. Einige Besitzer sehen die Offenstallhaltung als eine Art Freifahrtschein, das Pferd nicht zwingend zusätzlich bewegen zu müssen. „Der kann sich ja bewegen, wenn er will.“ Gut. Will er aber nicht. Weil er keinen Anreiz hat (Ein Problem, das in vielen Aktivställen gut gelöst wird!). Haflinger Max (ja, der muss immer herhalten) hat also eh schon einen rassebedingt niedrigen Bedarf, einen eher trägen Stoffwechsel und dabei großen Hunger und gar keine Lust, sich zu bewegen. Er würde sich also ggf. in Boxenhaltung sogar mehr bewegen, weil er täglich gezielt durch seinen Menschen bewegt wird. Denn der hat ja ein schlechtes Gewissen, weil Max die ganze Nacht in der Box gestanden hat. ⠀
Und ja..was soll ich sagen? Zurecht.
Pferde legen in freier Natur täglich bis zu 10km zurück. In Boxenhaltung sind es 1-2km. Der Schnulli steht übrigens in Boxenhaltung. Und wenn ich diese Zahlen lese, habe auch ich kein gutes Gefühl. Aber es gibt immer verschiedene Gründe für die Wahl der Haltungsform. Und ich finde es wichtig, dass man sich die Vor- und Nachteile zumindest bewusst macht! Denn nur so kann man eine gute Entscheidung für sein Pferd treffen.

2. Wenn wir von individuellen Bedürfnissen sprechen, beginne ich gern bei den gegebenen bzw. nicht veränderbaren Voraussetzungen, die bestimmte Pferde mitbringen. Hier haben wir beispielsweise den rassespezifischen Bedarf. Auch wenn mich jetzt vermutlich wieder einige steinigen wollen: ein Shetlandpony auf einer 24-Stunden-Weide oder mit unbegrenztem Heuzugang funktioniert in den allerseltensten Fällen! Warum? Weil Shetlandponys einen sehr niedrigen Bedarf haben, der mit dieser Haltungs-/Fütterungsform in 99,9% der Fälle überstiegen wird. Und ja, sie werden dann fett. Aber daneben entwickeln sie eventuell noch eine Stoffwechselstörung. Und durch das Übergewicht ein Herzproblem und Gelenkerkrankungen. Und vielleicht ein Sommerekzem, weil die Entgiftungsorgane durch die ständige Überfütterung komplett überlastet sind. Funktioniert also nicht.

Ein weiteres Beispiel ist unser 26-jähriger Opi, der viele Jahre im Offenstall verbracht hat, aber seit einigen Jahren mit Zahnproblemen zu kämpfen hat. Nun ist es so weit, dass er das ad libitum zur Verfügung stehende Heu nicht mehr verwertet weil er es nicht mehr richtig kauen und damit auf die Verdauung vorbereiten kann. Heucobs müssen her, damit der alte Herr nicht noch dünner wird, als er es mittlerweile ohnehin schon ist. Leider lassen ihm die anderen Ponys wenig Ruhe, um seine Heucobsportionen zu fressen, weil sie natürlich auch etwas abhaben wollen. So richtig großen Appetit hat unser Oldie dazu eher nicht, weshalb er immer nur kleine Portionen bekommt – und das 4-6 Mal pro Tag. Auch in so einer Situation sehe ich eine Aufstallung in den meisten Fällen für sinnvoller.

Dann gibt es aber auch noch charakterspezifische individuelle Bedürfnisse, die sich eventuell im Laufe des Lebens verändern. Der Schnulli z.B. ist immer das letzte Glied in der Rangordnung, egal in welcher Gruppenkonstellation. Ich habe ihn bisher niemals (das meine ich Ernst) die Ohren anlegen oder das Bein heben sehen. Er ist vermutlich das freundlichste Pferd der Welt. In Gruppenhaltung kann dies aber zum Problem werden, wenn die Gruppe z.B. schlecht sozialisiert ist und er aus diesem Grund nur begrenzten Zugang zu Futter oder Wasser hat. Und genau das ist mir in so einer Haltungsform bereits mit ihm passiert. Entwickelt hat sich eine chronische Magen-Darm-Problematik. Entsprechend habe ich große Bedenken, erneut eine Gruppenhaltung zu testen – tagsüber steht er selbstverständlich in der Herde. Aber zum entspannten Fressen und Schlafen hat er seine Box. Das ist sicherlich nicht meine absolute Traum-Haltungsform. Aber es ist zumindest aktuell eine gute Option für alle Beteiligten.

Neben diesen beiden pferdebezogenen Faktoren sehe ich aber auch noch etwas, was man dringend in eine solche Entscheidung mit einbeziehen muss: die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und Pferd. Nicht jeder hat die Möglichkeit, 3 Mal pro Tag zum Stall zu fahren, um etwas zu erledigen. Wer nach einem 10-Stunden-Arbeitstag nach Hause kommt, möchte vielleicht nicht noch 40 Minuten zum Stall und 40 Minuten zurück fahren, um sein Pferd zu versorgen. Davon abgesehen, dass Mann und Kinder gemeinsam zu Abend essen wollen und am nächsten Tag wieder um 05:00 Uhr der Wecker klingelt. Ich weiß, dass es einige Pferdemenschen da draußen gibt, die hier schreien und sagen: ja, aber das Wohlergehen des Pferdes steht an erster Stelle! Bitte nicht falsch verstehen. Ich lieb den Schnulli bis zum Mond und zurück. Aber die „Stable-Life-Balance“ muss stimmen. Und diese Balance muss jeder für sich selbst finden, ohne böse vorverurteilt zu werden.

Wonach suchst du?

Suche

Das könnte dich auch interessieren:

Du hast auch eine Frage zur Pferdefütterung? Schick mir hier deinen Themenwunsch für den nächsten Blogbeitrag!